You are here

"Dauerstress ist Demokratiezersetzend"

Carola Kleinschmidt ist Diplombiologin, Journalistin und Expertin zum Thema Burn-Out-Prävention
Veröffentlicht am 10.05.2019

Carola Kleinschmidt ist Diplombiologin, Journalistin und Expertin zum Thema Burn-Out-Prävention

Frau Kleinschmidt, vor wenigen Jahrzehnten dachten wir beim Wort „Ausgebranntsein“ noch an ein Haus, das vom Blitz getroffen wurde. Jetzt denken wir an einen Menschen im Zustand tiefer emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung.

Wie kommt das?

Bis vor wenigen Jahrzehnten ging man davon aus, dass Arbeit stabilisiert, dem Leben einen Sinn gibt und alles ok ist, solange jemand im Job noch funktionieren kann. Heute wissen wir, dass Arbeit auch psychisch stark belasten kann. Dieser Wandel fand um den Jahrtausendwechsel statt. Da kamen das erste Mal Themen wie „Stress im Job macht krank“ auf.

Aber Stress im Job hat doch jeder mal, oder?

Das schon. Aber viele Menschen denken, sie seien gehetzt und gestresst, weil sie so viel zu tun haben. Dabei ist dieses Gerenne und Gehetze bereits eine Folge von einer Stresssituation im Körper. Sie sind in diesem Moment bereits auf einem Stresslevel, als ob ihr Leben bedroht wäre und gehen im Notfallmodus durch den Tag.

Was meinen Sie damit?

Bei Stress sind Körper und Psyche alarmiert. Die damit verbundene Anspannung ist etwas Gutes, so lange sie sich wieder abbauen kann und es Ruhephasen gibt. Aber wenn diese über lange Zeit zu kurz geraten oder gar ausfallen, dann kommen Körper und Psyche in eine Dauerüberlastung. Und das ist auf Dauer wahnsinnig kräftezehrend und nicht gesund.

Wo liegen die Gefahren von pausenloser Anspannung?

Dauerstress kann sich in körperlichen und psychischen Symptomen äußern, zum Beispiel in Konzentrationsschwierigkeiten, Ängsten, ständiger Müdigkeit, gestörtem Essverhalten, Schlafstörungen, Rückenschmerzen und vielem mehr. Außerdem halte ich Dauerstress für demokratiezersetzend.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Wer sich und sein Leben ständig in Gefahr sieht, der interessiert sich nicht für die Probleme anderer. Er fühlt sich negativ gestimmt und bedroht und entsprechend handelt er auch. Und er sucht Schuldige für seine angebliche Not, wie den Arbeitgeber oder die Politik und so weiter. Man neigt in diesem Zustand zu Pauschalurteilen und das ist gefährlich.

Was kann ich tun, um diesen Zustand zu vermeiden?

Der Dreh- und Angelpunkt ist die Selbststeuerung. Stress entsteht erst in dem Moment, in dem ich eine Situation bewerte. Das bedeutet, dass ich eine Wahl habe. Ich kann mich selbst als Opfer empfinden, indem ich mich als vom Schicksal gebeutelt betrachte, oder ich kann das Ruder in der Hand behalten, indem ich den kurzen Moment zwischen Wahrnehmung und Bewertung sinnvoll nutze.

Kann man das üben?

In Achtsamkeitsseminaren lernt man, Wahrnehmung und Bewertung zu trennen. Es geht darum, die Schiene aus einem Reiz und der darauffolgenden Reaktion zu verändern. In der Lücke zwischen beiden kann ich eine Entscheidung treffen zwischen Opferrolle und selbstbestimmtem Handeln. Und dann lohnt es sich noch, die enge Verbindung zwischen Leistung und Selbstwertgefühlen aufzulösen. Viele von uns wollen alles immer gut erledigen oder am besten noch besser werden, sonst fühlen wir uns nutzlos. Das muss zwangsläufig in Dauerstress münden. Doch es ist zwingend notwendig, dass der Tag aus beidem besteht, aus An- und Entspannung.

Und wenn es mich doch erwischt hat? Wie groß ist das Risiko, nach einem überstandenen Burnout noch einmal einen zu erleben?

Manche Menschen, mit denen ich bei meinen Recherchen gesprochen habe, sagen, sie fühlen sich danach weiter gefährdet. Das sind die, die mit großer Akribie ihre Übungen machen.
Damit bauen sie sich etwas auf, um sich selbst zu schützen.