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Agile Projekt- und Organisationsstrukturen? Kein Hexenwerk. Ein Unternehmen aus Markdorf macht's vor

Abteilungen hat man abgeschafft, die Chefs stellen am liebsten Fragen, das Ambiente ist stylisch wie in einem Katalog: Ein Ladenbauer aus Markdorf macht vor, wie Agilität aussehen kann.
Veröffentlicht am 08.06.2018

Abteilungen hat man abgeschafft, die Chefs stellen am liebsten Fragen, das Ambiente ist stylisch wie in einem Katalog: Ein Ladenbauer aus Markdorf macht vor, wie Agilität aussehen kann.

 

Der 3D-Drucker surrt leise vor sich hin, die Barista in der Kaffeeküche daneben macht frischen Cappuccino, und mittendrin am Esstisch sitzt der Chef. Dass dieses Unternehmen anders sein will – das spürt der Besucher der Konrad Knoblauch GmbH in Markdorf sofort. Als „Büroladencafé“ bezeichnet sie die Umgebung, die man Ende vergangenen Jahres bezogen hat, selbst. Der Name ist selbsterklärend: Das Konzept besteht aus einer offenen Bürofläche für etwa 250 Mitarbeiter, einem Laden für Designermöbel sowie einem Café – und die Grenzen dazwischen sollen fließend sein. Im Falle einer Firma, die mit Ladenbaukonzepten groß geworden ist, ist solch eine Umgebung natürlich immer auch Showroom – ein begehbarer Katalog sozusagen, bei dem bis hin zum aufgeschlagenen Buch nichts dem Zufall überlassen zu sein scheint. Doch die Veränderung dahinter ist tiefer: Denn hier hat man nicht nur Wände herausgerissen und hippe Möbel hineingestellt, sondern scheinbar unabdingbare Eckpfeiler der Struktur einfach aufgelöst.

Wolfgang Müller, einer von drei Geschäftsführern bei Knoblauch, gehört zu den Initiatoren dieses Wandels. Er kennt das Unternehmen, seitdem er hier eine Lehre zum Schreiner absolviert hat. Im Jahr 2000 kehrte er als Projektleiter zurück. Damals erlebte die Firma, deren Anspruch es ist, „wertvolle Umgebungen für Menschen und Marken“ zu gestalten und die sich traditionell über große Freiheiten für Mitarbeiter definiert, einen ersten Wachstumsschub. „Wir glaubten damals, Strukturen zu brauchen“, sagt Müller. „Strukturen“ spricht er dabei in Anführungszeichen aus. In der Realität führte die Ordnung aus dem Lehrbuch jedenfalls nur zu Frust. „Die Projektleiter konnten nicht mehr frei entscheiden, den Teams machte es keinen Spaß mehr, Entscheidungen dauerten zu lange.“

"Führung ist Nötig - Aber nur, um Mitarbeitern den Rücken zu stärken"

Wolfgang Müller, Geschäftsführer Konrad Knoblauch GmbH

So viel Offenheit ist auch anstrengend. „Man muss definitiv mehr miteinander reden“, berichtet Juliane Stinner, die den Kosmetikkonzern L’Oréal als Kunden betreut. Aber wenn die 29-Jährige im Freundeskreis von ihrem Berufsalltag erzählt, sei das vorherrschende Gefühl Neid. „Ihr arbeitet ja wirklich so, wie wir das im Studium kennengelernt haben!“, heißt es dann oft. Konstrukteur Claus Hierling kommt sich manchmal vor wie einem „Schulprojekt“, weil manches so spontan und ungeplant passiere. Und der Chef? Wenn Wolfgang Müller in die Runde blickt, weiß er meistens im Einzelnen nicht, wer gerade woran arbeitet. Er sagt, er sei froh darüber, es gar nicht wissen zu müssen. „Früher standen ständig Leute um meinen Schreibtisch und
verlangten Antworten. Heute geht es für mich darum, die richtigen Fragen zu stellen.“

Ganz von selbst stellte sich der Kulturwandel indes nicht ein. Bewusst setzten sich die Mitarbeiter mit den veränderten Rollen auseinander. Müller sagt, er habe am meisten vom Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, gelernt. Vor allem einen Grundsatz: „Führung ist nötig – aber nur, um Mitarbeitern den Rücken zu stärken.“ Das Loslassen und Vertrauen habe er jedoch auch einüben müssen und umgekehrt wolle nicht jeder Kreative auch unternehmerische Verantwortung übernehmen. „Ich bin Befehlsempfänger und mir muss man sagen, was ich zu tun habe“ – diese Aussage eines Mitarbeiters fand Müller zwar schockierend, heute kann er darüber aber schmunzeln.

Eine Grenze muss bleiben

Eine letzte Frage bleibt: Ist dieses perfekt durchkomponierte Ambiente – der 200 Jahre alte Olivenbaum, die Polaroids in der Küche, auf denen jeder „Knobi“ verewigt ist – nicht nur ein Trick, um die Mitarbeiter länger im Haus zu halten? Nein, versichert die Personalverantwortliche Renate Bleher. „40 Stunden müssen reichen, und deshalb schreiben wir unsere Stunden auf“, erklärt sie. In Stoßzeiten sei das natürlich nicht immer einzuhalten, aber bei 120 Überstunden mahnt Bleher zum Abgleiten. An der Grenze zwischen Beruf und Privatleben wollen sie bei Knoblauch auch in der neuen Arbeitswelt nicht rütteln.

 

[JENS POGGENPOHL]